Niemand sieht die Scheune

Signs disturb the view - a true Don DeLillo moment

„Niemand sieht die Scheune“, sagte er schließlich. Es folgte ein langes Schweigen. „Wenn man erst einmal die Schilder über die Scheune gesehen hat, wird es unmöglich, die Scheune selbst zu sehen. […] Wir sind nicht hier, um ein Bild einzufangen, wir sind hier, um eines aufrechtzuerhalten. […] Hier zu sein ist eine Art von spiritueller Resignation.“ – Dies ist eine Passage aus Don DeLillos Buch „White Noise“. Dort, wo ich lebe, ist dieser Teil seiner Fiktion wahr geworden.

Signs disturb the view - a true Don DeLillo moment

Das obige Foto stammt aus der Nähe meiner Heimatstadt Husum. Es wurde bei Halebüll zwischen den Dörfern Schobüll und Hattstedt an einem ehemaligen Aussichtspunkt aufgenommen. Seit Jahren ist dort der freie Blick mit Schildern zugestellt, die einem sagen, was man dort sieht.

Es gibt hier keinen Raum mehr für freie Beobachtung. Stattdessen zwingen uns einige Entscheidungsträger ihre Ansichten darüber auf, was dort angeblich wichtig ist zu sehen. Die Augen können sich ihren Bildern und ihren Texten nicht entziehen.

Einst war es einmal hoch geschätzt, ungestört herumzulaufen und zu sitzen und sich eigene Gedanken über die Dinge zu machen, die man vor Augen hatte. Das sollte auch heute noch gelten, vor allem in Zeiten einer permanenten Informationsüberflutung. Sie ist das Ergebnis unserer Smartphone-Kultur und einer sinkenden Aufmerksamkeitsspanne. Die Menschen können nicht mehr mit sich allein sein.

Viele Leute haben vergessen, dass eine von künstlichen Eindrücken befreite Landschaft der größte Luxus ist, den es gibt. Anstatt einfach nur zu spazieren und dabei die Gedanken fliegen zu lassen, sind wir aber darauf konditioniert, eine Imitation von Wikipedia und Google Maps im realen Leben zu akzeptieren. Die kommt mit Pop-ups von Bildern und Texten daher, denen sich nicht ausweichen lässt.

Schlechter Geschmack

Hier sind weitere Schilder aus dieser Gegend. Neben anderen Informationen klären sie über einen nicht mehr existierenden Apfel auf und enthalten sogar eine Verklärung der nationalsozialistischen Vergangenheit. (Zum Vergrößern auf die Fotos klicken):

Das Schild erzählt uns von einem Apfel, den es nicht mehr gibt und an den sich niemand mehr erinnert. Dann wirbt das Schild für einen örtlichen Landwirt. (Foto von 2020)

Hier sehen wir eine Reihe von Schildern, die von Gymnasiasten erstellt wurden (allerdings in der guten Absicht, einen Waldlehrpfad zu schaffen). Von diesem Schildern gibt es Dutzende, die man nicht vermeiden kann. Auf manchen Wegen sieht man sie die ganze Zeit, immer wieder. (Foto von 2024)

An manchen Stellen im Wald gibt es von diesen Schildern mehr als an einer belebten Kreuzung. Es ist visueller Abfall, der die Grundlagen der ungestörten Wahrnehmung, Fantasie und Gedanken abtötet. (Foto von 2024)

Das Schlimmste ist eine permanente Fotoausstellung im Dorf Schobüll, die von einem Einheimischen zusammengestellt wurde. Sie zeigt uns, wie „schön“ es im Dorf in den 1930er Jahren gewesen sein soll. Auf diesem Foto, das immer noch öffentlich ausgestellt ist, sieht man ein Gebäude der deutschen Wehrmacht mit einen militärischen Wachturm hinter Stacheldraht. Der Kurator erklärt uns dieses Foto als Café mit Aussichtsturm. (Foto von 2024)

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